Eine Rucksackreise durch Japan – Einundzwanzigster Teil – Ein Tag im Nebel

29. April 2024
5 Minuten gelesen
  1. Eine Rucksackreise durch Japan – Erster Teil – Die Ausfahrt „Nichtraucher“
  2. Eine Rucksackreise durch Japan – Zweiter Teil – die ersten Schritte
  3. Eine Rucksackreise durch Japan – Dritter Teil – auf die inneren Werte kommt es an
  4. Eine Rucksackreise durch Japan – Vierter Teil – Sprachbarrieren
  5. Eine Rucksackreise durch Japan – Fünfter Teil – Zu Gast bei Familie Takahashi
  6. Eine Rucksackreise durch Japan – Sechster Teil – Heiß, Heißer, Onsen
  7. Eine Rucksackreise durch Japan – Siebter Teil – It’s a Long Way From Home
  8. Eine Rucksackreise durch Japan – Achter Teil – Kontraste
  9. Eine Rucksackreise durch Japan – Neunter Teil – Allein unter Tausenden
  10. Eine Rucksackreise durch Japan – Zehnter Teil – Yukatas, Trommeln und eine Erkenntnis
  11. Eine Rucksackreise durch Japan – Elfter Teil – Ein langes Gespräch und wenig Bewegung
  12. Eine Rucksackreise durch Japan – Zwölfter Teil – Mitten im Nirgendwo
  13. Eine Rucksackreise durch Japan – Dreizehnter Teil – Die Magie der Zeit
  14. Eine Rucksackreise durch Japan – Vierzehnter Teil – Klima, Verkehr und ein Paar auf Hochzeitsreise
  15. Eine Rucksackreise durch Japan – Fünfzehnter Teil – Die Stadt des Tons
  16. Eine Rucksackreise durch Japan – Sechzehnter Teil – Eine Zeitreise
  17. Eine Rucksackreise durch Japan – Siebzehnter Teil – Kyoto, die Stadt der Reizüberflutung
  18. Eine Rucksackreise durch Japan – Achtzehnter Teil – Ein Tag in der Mall und eine Massage
  19. Eine Rucksackreise durch Japan – Neunzehnter Teil – Die Suche nach Tee und das Nachtleben
  20. Eine Rucksackreise durch Japan – Zwanzigster Teil – Körperlich ausgelaugt
  21. Eine Rucksackreise durch Japan – Einundzwanzigster Teil – Ein Tag im Nebel

Der Morgen dieses Tages begrüßte mich mit Regen. Die tief hängenden Wolken vom Vortag ergossen sich nun über den Berg und die kleine Stadt Beppu. Ein wohltuendes Geräusch, das dort durch mein halbgeöffnetes Fenster drang und mich langsam weckte. Etwas zerknittert und vom mehrmaligen Aufwachen mitten in der Nacht, inklusive der Suche nach mehr Körperlotion zur Linderung des Juckreizes, erhob ich mich und startete den Tag langsam. Es war mein vorletzter Tag im Besitz eines gültigen Rail-Pass-Tickets, das ich mehr als umfänglich nutzte. An diesem Tag bewegte ich mich nicht viel, hatte keinen Rucksack zu schultern und keine Wege zu laufen, um einen Zug zu erwischen. Ich kümmert mich lediglich um die grundlegenden Bedürfnisse: Essen, Trinken, Schlafen. Glücklicherweise organisierte mein gestriges Vergangenheits-Ich bereits ein ausgiebiges Frühstück am Konbini. So schmauste ich nun einige der übrig gebliebenen Onigiris und Süßigkeiten, um kurz danach mein erstes Bad dieses Tages zu nehmen.

Frisch gewaschen und von Wärme eingehüllt, begab ich mich wieder zurück aufs Zimmer, legte mich in die Schlaf-Yukata gekleidet wieder auf den Futon und genoß die schier endlose Zeit dieses Tages in den Grenzen meines zunehmend besorgteren Geistes. Denn obwohl ich großes Vertrauen in die heilsamen Eigenschaften der Onsens besaß, schien sich mir kein Regenerationsprozess oder gar eine Linderung einzustellen. Eine verzwickte Lage in der ich mich befand zwischen Glaube an die heilende Wirkung dieser Bäder und der bitteren Realität einer sich vermeintlich verschlechternden Situation an meinem Körper. Überzeugte Anhänger der Manifestation würden an dieser Stelle wohl behaupten, ich hätte meinen Geist zu viel mit den Symptomen und zu wenig mit dem komplett genesenen Körper beschäftigt. Ich hätte mir sicherlich zu wenig vorgestellt, wie sich mein von kosmischer Energie durchfluteter Körper gegen die von juckenden, flechtenartig aussehenden Stellen überzogenen Gliedmaßen aufstelle, um jene Erkrankung mit genügend positivem Mind-Set überwinden zu können. Ja das mochte sein.
In dieser Situation sah ich mich gezwungen etwas zu tun, das ich hätte bestimmt schon früher angehen sollen. Ich begann im Internet nach Ärzten zu suchen und plante meinen kommenden Tag. Anfänglich glaubte ich einfach eine Apotheke in Beppu aufzusuchen, um kurz darauf festzustellen, dass offensichtlich der Vertrieb von Medizin gänzlich anders strukturiert gewesen sei. Außerdem schien es mir nicht sinnvoll einfach irgendeine Lotion, Creme oder Tinktur auf den bereits ganz klar geschädigten Zustand meiner Haut zu geben. So blieb mir nichts außer nach einem internationalen Arzt in Tokio zu suchen, denn dort würde ich am folgenden Tag hin zurückkehren. Ich fand ein „International Hospital“, welches einen guten Eindruck über die nun doch gelesenen Rezensionen erweckte.

Um die Rückfahrt auch noch mit etwas zu verbinden, worauf ich mich freuen konnte, nahm ich mir vor mit einem der schnellsten Schnellzüge Japans zu fahren. Diese Zugfahrt war nicht im Rail-Pass-Ticket inkludiert und musste zusätzlich gekauft werden. Doch dieses Erlebnis wollte ich nicht verpassen. Zudem schien es mir außer Frage auf dem Weg zur Klärung meiner Erkrankung keinen Moment länger unterwegs sein zu müssen, als irgendwie nötig. Mit diesem Plan ausgerüstet, lehnte ich mich in Gewissheit endlich zu erfahren, was mit meiner Haut los gewesen sei, wieder ein wenig entspannter zurück. Der Regen, dort draußen hinter den Fenstern, ließ etwas nach. Die Nebelschwaden, die vom Tal des Berges herauf zu klettern schienen, trafen die sich bis zum Boden erstreckenden Wolken an genau jener Stelle, an der sich die riesige Talbrücke in der Nähe des Hotels erstreckte. Ein beeindruckender Anblick, dieses menschengemachte Bauwerk aus Stahl und Beton, bis zur Unkenntlichkeit eingehüllt in Nebel und Wolken. Nur die sich in geschwungenen Formen zuspitzenden Füße dieser Brücke waren noch zu erkennen.

Ich fasste mir am frühen Nachmittag ein Herz und versuchte den Abstieg, ausgerüstet mit einer Kamera und einem dringend benötigten Regenschirm. Denn trotz der abnehmenden Intensität der schwitzenden Wolken, blieb der feine Nieselregen konstant genug, um mich und vor allem die Kamera innerhalb weniger Minuten bis auf die Batterien zu durchnässen.
Nach schon einigen gelaufenen Metern, trotz des ausgebreiteten Schirms wurde mir klar, dass der Versuch ein brauchbares Foto zu Stande zu kriegen vergebens gewesen sei. Ich packte die Kamera wieder ein, kehrte zum Hotel zurück, legte die Technik wieder im trockenen Zimmer ab und konzentrierte mich nun eher auf den Weg und seine verregnete Romantik. Im Ort angekommen, stellte ich ernüchtert fest, dass das von mir angepeilte Ramen-Restaurant an diesem Tag einen Ruhetag einlegte. Es blieben mir tatsächlich nur wenige Optionen, weswegen ich mich ins erstbeste Etablissement setzte.
Dort, mit Blick in das Tal, den sich bis zur Küste erstreckenden und ganz in Regen gehüllten Ort betrachtend, aß ich ein der westlichen Küche angelehntes Gericht mit gegrilltem Fleisch. Im Beisein einer Familie mit kleinen Kindern und der dazugehörigen Geräuschkulisse ließ ich meine Augen über den Ort schweifen. Irgendwo zwischen verregneter Dorfromantik, mit all seinen dampfenden Schornsteinen und kleinen, verschachtelt stehenden Häuschen und den angeregten Gesprächen einer jungen Familie saß ich dort, ebenso innerlich gespalten zwischen Ruhe und Anspannung. Manchmal, wenn ich eine Familie wie diese sah, dachte ich an meine Nichte und Neffen, die dort auf der anderen Seite der Erdkugel viellicht grad am Frühstückstisch saßen und ähnlich explorativ mit ihrem Essen umgingen. Der Gedanke a das Kinder-Haben ging damit häufig einher und auch die bereits beschriebenen Überlegungen zu Moralität ein Leben in diese Welt hineinzubringen.

Meine Mahlzeit verdauend, kehrte ich auf dem Rückweg nochmals in den Convenience-Store an der Straßenecke ein, um mir ein nochmaliges Verlassen des Hotels und zusätzlicher Belastung meiner Füße zu vermeiden. Ich besorgte mir eine breite Auswahl an Reisspeisen, Getränken und Süßigkeiten, um den Tag in guter und wohlig genährter Laune ausklingen zu lassen. Mich die letzten Meter, des am Vorabend bereits erklommenen Hügels, hochschleppend, genehmigte ich mir eine weitere Zigarette bevor ich vorerst ins Onsen verschwinden und anschließend einem ausgiebigen Nickerchen Raum geben wollte. Meinen Plänen folgend, kehrte ich nach einiger Zeit, gründlich gereinigt und von der Wärme der Bäder tiefenentspannt, zurück aufs Zimmer und mich zur Mittagsruhe hinzulegen. Ich schlief wieder lang und doch sehr unruhig. Die Gedanken an den möglichen Parasitenbefall meines Körpers ließ mir keine Ruhe zu. Immer wieder ertappte ich mich dabei das Telefon zur Recherche und autosuggestiven Verbreitung von Hysterie zu nutzen und mehr über das kleine, sehr unansehnliche Spinnentier zu erfahren, das möglicherweise in meiner Haut lebte. Eine wirklich unaustehlich eklige Vorstellung, wie ich finde.

Irgendwann in den frühen Abendstunden wachte ich auf und besuchte ein letztes Mal eines der privaten Onsens mit Blick in den Himmel. Dieser Ausblick war nun von dicken Wolken getrübt, die immer noch einen anhaltend leichten Regen fielen ließen, der sich trotz der Außentemperatur von knapp 30 Grad, anfühlte wie kalte Sprenkel auf der Haut. Ein wunderbares Gefühl der Kontraste das ich empfand, als ich in über 40 Grad warmem Wasser bis zu den Schultern verdeckt saß und mir der kalte Regen auf den Kopf tröpfelte. Ich war mir schmerzlich bewusst, dass dies vorerst mein letzter Besuch in einem Onsen sein sollte. In dieser Gewissheit badete ich noch bis meine Haut schrumpelte und sich mein Körper nach Abkühlung sehnte. Das kalte Wasser, das aus dem Duschkopf sprühte, langsam im Sitzen von den Füßen aufwärts den Körper führend, wusch ich mir den Stress und die bis hierhin schon aufregende, lehrreiche und anstrengende Reise ab.

Zurück im Zimmer fiel ich schnell in den dringend benötigten Schlaf.

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