Simon vom Fluss – Gesamtausgabe Band 3

24. Mai 2022
2 Minuten Lesezeit

Was bleibt, wenn das Ende nah ist? Welche Werte und Überzeugungen haben Bestand? Worüber denkt man nach in der Gewissheit, sich seinem letzten Atemzug zu nähern?

Claude Auclair war ein einflussreicher Künstler der neunten Kunst und ist bis heute eine schillernde Figur des franko-belgischen Comics. In dieser dritten Gesamtausgabe von „Simon vom Fluss“ findet die Saga um den Helden Simon einen würdigen Abschluss.

Der Verlag Cross Cult hat sich dieses Materials angenommen. Wie auch in den vorigen zwei Bänden wird ein umfangreiches Dossier zur Entstehung der im Anschluss folgenden Comics vorangestellt. Verfasst wurde dieses von Patrick Gaumer.

Eine Reise zurück an den Anfang

Dieser Band hebt sich in allem ab, was die vorigen Werke auszeichnete. Es bewegt sich nicht mehr in einer Stimmung der Anti-Atom-Bewegung, noch übt es eine groß angelegte Kritik der bürgerlichen Gesellschaft. Simon spielt als Protagonist häufig nur noch eine kleine Rolle, denn Auclair befasst sich mit Größerem. Es beginnt, spirituell und mythologisch angereichert, mit einer Chiffre über das Gleichgewicht der Erde, des Lebens und allen Seins. Die darin auftretenden Figuren verkörpern Himmelsrichtungen und Elemente. In der für Auclair gewohnten Art und Weise werden Panels ohne Text zwischen dialogreichen Bildern als metaphorische Bindeglieder gleichgestellt. Dieser Stil, das fast filmische Erzählen ohne Worte und nur durch das erweckte Gefühl der Bilder zu kommunizieren, wird sich in den folgenden Geschichten noch verfestigen.

Im eingehend erwähnten Dossier wird beschrieben, wie viele Krisen und schwierige Lebenslagen Claude Auclair in seinen letzten Jahren durchleben musste. Er verlor jedoch nie seinen Optimismus. Auch die Sehnsucht nach dem Meer und seinem Boot werden nicht nur das private Leben, sondern auch sein Werk beeinflussen. Es wird klargestellt, dass Auclair Simon nun vollends an sich und seine Familie anlehnte, ihnen sogar die Gesichter seiner Kinder und seiner letzten Frau verlieh. Außerdem ist es elementar zu wissen, dass er im Laufe der Jahre vermehrt in die psychologische und mythologische Literatur eintauchte. So verwundert es nicht, dass die zweite größere Geschichte wie eine Reise ins Ich wirkt. Es werden Bilder aus vergangenen Geschichten aufgegriffen, Ausschweifungen einem Fiebertraum gleich unternommen und Anspielungen an C.G. Jungs Werke gezeigt.

Die alles abschließende Geschichte verbindet diese Aspekte und schafft ein gelungenes Ende voller Wehmut. Simon und seine Familie sind des nomadischen Lebens müde und beschließen sich im Kreise einer Gemeinschaft auf „der Halbinsel“ niederzulassen. Diese matriarchalisch regierte Gemeinde untersteht einer hartherzigen Frau, die schwer von Verlust, nie verarbeiteter Trauer und daraus entstandenem Hass geprägt ist. Die kleine Gemeinde prosperiert dank des Fischfangs und ihrer landschaftlichen Erzeugnisse. Die dysfunktionale Beziehung zwischen der Herrin und ihrem Sohn Pierre ist der Auslöser und Grund für die folgenden Ereignisse. Ihre Projektionen der ihr verwehrten Liebe für ihren verschwundenen Mann stülpt sie ihrem krankhaft kontrollierten Sohn über. Dieser erlebt diese „Fürsorge“ als zunehmend einengend und übergriffig, was dazu führt, dass sich ein althergebrachter Zwist zwischen zwei Parteien wieder entfacht. Es geht um Liebe, um eine Perspektive auf eine Zukunft, um Vergebung und um die Suche nach einem Ort der Heimat.

Der Stil

Der Tradition der Linie-Claire, der für Auclairs Comics typischen Art und Weise zu zeichnen, bleibt dieser treu. Die Szenerie hat sich jedoch gewandelt, was mit einem personellen Wechsel zu tun hat. Der Szenarist und Autor Alain Riondet hat Auclair bis zum Ende der hier abgedruckten Geschichten begleitet und war der letzte mit ihm arbeitende Künstler. Vieles in den Bildern verrät einem, wie gut sich die beiden nicht nur beruflich verstanden haben mussten. Form, Farbe und Bildausschnitte sind präzise gewählt und greifen ineinander wie die Zahnräder eines feinen Uhrwerks. Ein nicht unerheblicher Teil dieser dritten Gesamtausgabe spielt mit der Ebene des Unsagbaren, des Wunsches, der Träume und auch Ängste vor Verlust. Gerade weil Auclair viel mehr von sich preis gab, dieses in seine Figuren hineinschrieb und zeichnete, wirkt dieser letzte Band an vielen Stellen wie der Abgesang und eine Verabschiedung. Was ist es, das bleibt? Hat Simon und schlussendlich auch Auclair seine Heimat gefunden? Diese Fragen werden wie in jeder guten Geschichte, die zum Schwelgen anregt, offengelassen und kommen zu einem Schluss. Egal, was geschieht, am Ende wird alles gut und so wie es sein soll.

Fazit
Als krönender Abschluss einer Jahrzehnte umspannenden Saga ist „Simon vom Fluss – Gesamtausgabe 3“ ein fabelhafter, wenn auch schmerzender Abschied vom Helden der Endzeit. Claude Auclairs Werk wird hoffentlich auch wegen dieser auf Deutsch erschienenen Gesamtausgabe fortan mehr Beachtung erhalten. Das umfangreiche Wissen aller drei Dossiers, die Wandlung der Geschichten Simons vom Pragmatischen zum Metaphorischen und die teilweise spannenden Denkanstöße zu den großen Fragen der Menschheit sind es in jedem Fall wert, gelesen und gefragt zu werden. Simon und Auclair durchlebten eine Reise voller unerwarteter Wendungen und brachen auf in das Unbekannte. Wer einmal ein Stück Kulturgeschichte im Comic rezipieren möchte und gleichzeitig eine wundervolle Geschichte lesen will, dem sei „Simon vom Fluss“ dringend empfohlen.
Pro
Ein ergreifender und spirituell angereicherter Abschluss, fesselnder Einsatz des Linie-Claire-Stils, nahtlose Integration von Themen aus mythologischer und psychologischer Literatur.
Kontra
Für diejenigen, die eine pragmatischere Erzählung erwarten, ist der Übergang zum metaphorischen Geschichtenerzählen möglicherweise weniger attraktiv.
8.4

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

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