Niemals

8. Januar 2022
2 Minuten Lesezeit

Der Zahn der Zeit nagt an allem und jedem. Einige Menschen scheinen diesem trotzen zu können. Ob sie sich durch Erinnerungen jung halten oder durch das Umfeld, in dem sie sich bewegen, macht oft wenig Unterschied. Der Künstler Bruno Duhamel hat in seiner Graphic Novel „Niemals“ eine rührselige Geschichte verfasst, die das Thema Zeit in Bezug auf die Veränderung der Umwelt im Kern trägt. Der Avant-Verlag hat dieses Werk in einem großformatigen schlanken Hardcover, hochwertig auf stärkerem Papier gedruckt, auf den deutschen Markt gebracht.

Wandel in vielen Facetten

Die Protagonistin Madeleine ist blind und wohnt allein mit ihrem Kater Balthazar auf der Steilküste des Ortes Troumesnil in der Normandie. Die malerische Natur und die frische Meeresluft sind allerdings einigen Veränderungen unterworfen. Das Wetter scheint nicht mehr wie früher, der Regen setzt häufiger aus, die Stürme werden heftiger und die Steilküste droht ins Meer zu rutschen. Madeleine stört dies alles nur wenig, jedoch fühlt sich der Bürgermeister verantwortlich und muss nun dafür sorgen, dass sie ihr Haus verlässt, bevor dies mit ihr ins Meer stürzt.

Doch will sie ihr Haus nicht verlassen. Es ist ein Ort der gemeinsamen Erinnerungen. Seit vielen Jahren ist ihr Mann auf dem Meer verschollen, was sie nicht daran hindert, Monologe mit ihm zu führen. Der Kater Balthazar übernimmt dann in einigen Monologen gewisse Aktionen wie z.B. das „Aufessen“ des gemeinsamen Mittagessens.

Die Situation verhärtet sich, als der Bürgermeister mit seiner Frau über das Problem redet. Madeleine ist nämlich mit Handgranaten aus dem Zweiten Weltkrieg bestückt, welche sie nicht scheut gegen ihn einzusetzen. Des Bürgermeisters Frau hat einen Plan entworfen, der allerdings gänzlich fehlschlägt. Daraufhin begibt sich Madeleine zum Rathaus und sprengt seinen Wagen in die Luft. Nur der besonnene Chef der Feuerwehr kann sie besänftigen und für Schlichtung sorgen.

Im großen Finale stehen sich ein Polizeikommando, der Bürgermeister, der Feuerwehrchef und Madeleine gegenüber. Tosender Wind, heftiger Regen und die stetige Bedrohung des Sturzes ins Meer bedrohen die alte Dame, die jedoch „Niemals“ ihr Haus verlassen wird. Lieber wirft sie noch ein paar Granaten aus dem Fenster.

Wie die Geschichte endet, kann als Parabel für so vieles gelesen werden. Zum einen könnte man darin lesen, dass auch solch gravierende Probleme wie der stetig beschleunigte Klimawandel nicht immer zum schlimmsten Ende führen müssen. Andererseits kann auch eine Stärke des Charakters darin gesehen werden, was gerade in solch bedrohlichen Situationen häufig zum Überleben führen kann.

Diese Graphic Novel eignet sich aus vielerlei Aspekten zum gemeinsamen Lesen mit Kindern. Sie ist relativ gewaltfrei, also es wird keine Gewalt gegen Menschen gezeigt. Die thematische Vielfalt bietet große Flächen, um weiterführende Diskussionen zu führen. Hinzukommt, dass die visuelle Aufbereitung sehr verspielt und freundlich ist.

Der Stil

Duhamel zeigt eine farbenfrohe, realitätsnahe und stilisierte Version des französischen Nordens. Die Protagonist:innen ähneln dabei mit ihren knubbeligen Gesichtern, weichen Gesichtszügen und expressiven Augen Cartoonfiguren. Die Szenerie ist liebevoll gestaltet und reich an kleinen Details, die typisch für die Normandie sind. Einige der Konzeptzeichnungen und Einflüsse können dafür im Anhang gesehen werden. Dort finden sich Fotografien und Charakterstudien der Figuren.

Die Panelstruktur ist sehr konventionell, wenn auch abwechslungsreich. Die gerahmten Panels sind häufig in 6 oder 8 Panels pro Seite gegliedert. Eine Traumsequenz zeigt exemplarisch, wie die Verdichtung von Panels pro Seite einen anderen Eindruck schafft. Auch deshalb ist diese Graphic Novel ein sehr guter Einstieg für junge Leser:innen. Hier werden beispielhaft verschiedene Techniken gezeigt.

So ist auch die Gestaltung der Sprechblasen sehr vielfältig. Eine Möwe beispielsweise bringt einen undefinierbaren Ton hervor und wird daher mit einem Tintenfleck visualisiert. Die Biene hingegen schwingt sonor mit ihrem Gebrumme und bekommt daher eine Sinuskurve in ihre Sprechblase. Selbst die Stiefel der Madeleine machen während ihres Spaziergangs eigene Klänge, die der Stimmung eine subtile komische Stimmung geben. Die Farben sind kräftig, jedoch nicht knallig. Viel eher sind es sehr gesättigte Pastelltöne, die Bruno Duhamel für seine Kolorierung verwendete. Daher wirkt das gesamte Szenario relativ realistisch und nicht zu abstrahiert.

Fazit
Madeleine ist die Integrität in Person. Wir nehmen ihre Position ein, verklären diese jedoch nie. Sie zeigt sich reflektiert und ist sich des Wandels bewusst. Die Geschichte geht einem, trotz der scheinbar ausschreitenden Konflikte, auch emotional unter die Haut. In nur wenigen Panels gelingt es Duhamel, solch melancholisch schöne Gefühle in einem hervorzurufen, dass man gar nicht zum Ende kommen will. „Niemals“ ist eine schöne Graphic Novel, die einen mit einem leichten Schmunzeln in eine Welt des Wandels entlässt.
Pro
Starke Charaktere, interessante Themen, verspielte Visualisierung und noch dazu als kindgerechte Lektüre geeignet.
Kontra
Nichts
10

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

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