Habibi

18. Juni 2021
3 Minuten Lesezeit

Was bedeutet es, ein Freund (Habibi) zu sein? Was bedeutet es zu lieben? Was bedeutet es, als „wertloser“ Mensch in einer Gesellschaft zu leben? Welche Macht hat Religion und welche Analogien können den Geschichten der abrahamitischen Religionen entnommen werden?

All diese Fragen und noch viele weitere wirft Craig Thompson in seinem epischen Werk „Habibi“ auf. Es ist ein wahres Meisterwerk, das Thompson mit dieser Graphic Novel verfasste.
Das 672 Seiten starke Hardcover wurde von Stefan Prehn übersetzt und Michael Hau setzte in Handarbeit das aufwendige Schriftbild.

Bereits 2011 erschien dieses sagenhafte Werk bei Reprodukt. Nun, zum zehnjährigen Erscheinungsjubiläum, soll sich mit dieser doch unterbeachteten Graphic Novel nochmals beschäftigt werden.

Die Handlung

Die Handlung spielt zu unserer heutigen Zeit in einem fiktiven muslimischen Land, gezeichnet von endlosen Wüsten, großer Armut und sehr wohlhabenden Megacitys.

Dodola, ein junges gebildetes Mädchen vom Land, gerät über Umwege in die Hände von Menschenhändlern. Dort rettet sie einen von seiner Mutter verstoßenen Jungen. Dieses wegen seiner dunklen Hautfarbe ausschließlich als Sklave und unnütz angesehene Kleinkind wird fortan ihr Schützling. Sie rettet sich und ihren Kleinen aus den Fängen der Menschenhändler. Dodola und ihr Schützling Ham finden Unterschlupf in einem mitten in der Wüste stehenden und verlassenen Holzschiff. Es wird ihr Zuhause für viele Jahre sein.

Der noch sehr kleine Junge wird von Dodola mit dem Namen Zam benannt, da er eine gewisse Gabe hat, Wasser aufzuspüren. Warum der Name Zam etwas mit Wasser zu tun hat, erzählt Dodola in einer ihrer Geschichten. Bereits mit der Benennung des Jungen eröffnet sich eine Welt der Mythologie und Religion, die immer wieder – mal beiläufig oder gar ausschweifend – Teile der Handlung bestimmt. Zam findet zwar Wasser, aber für Lebensmittel muss Dodola einen Schritt in ihrem Leben machen, mit dem sie einen Pfad betritt, der sie nicht mehr umdrehen lässt. Sie bietet sich und ihren Körper den durchreisenden Karawanen an, um an Essen zu gelangen.

Die Jahre verstreichen, Zam lernt Schreiben und Lesen und die religiösen Geschichten, die Dodola ihm zum Einschlafen erzählt, werden fester Bestandteil ihres Lebensalltags. Ihre Geschichten sind Sagen und Erzählungen über Propheten und über die Entstehung von Schrift, Mystik und Bräuchen. Als Dodola dann eines Tages zu den Karawanen geht, folgt ihr Zam und lernt ihr dunkles Geheimnis kennen. Von diesem Moment der Erkenntnis an wird es für die zwei mehr als unparadiesisch.

Craig Thompson erzählt im weiteren Verlauf über einen Zeitraum mehrerer Jahre, auf welchen Wegen und unter welchen Leiden sich die zwei bewegen müssen. Immer auf der Suche nach einander und immer getrieben von tiefster Zuneigung.

Der Stil

Es ist schier atemberaubend, wie großartig diese massive Graphic Novel gestaltet ist. Die überall eingearbeiteten Formen traditioneller arabischer Schrift, die ornamentale Kunst in sehr vielen Panels, die dichten illustrierten Verweise auf Vorangegangenes und die zahlreichen Herleitungen dieser Jahrhunderte alten künstlerischen Gestaltung des Wortes und der Lehren des Quran sind einfach überwältigend. Didaktisch sehr intelligent fängt man als Leser:in mit dem 3 mal 3 großen Raster aus Buchstaben an, erfährt ganz nebenbei, wie sich dadurch möglicherweise Sudoku entwickelte, bis hin zu komplexen geometrisch mathematischen Gleichnissen, die alle auf dem heiligen Quadrat aus 3 mal 3 Buchstaben basieren. Es ist wirklich grandios, wie konsequent und dicht gewebt Thompson die Schriftkultur und Religion in Verbindung bringt und sie vor den Leser:innen als einen Teppich aus schönen Mustern und Formen ausbreitet.

Der gesamte Comic ist schwarz-weiß gehalten. Die Zeichnungen der Figuren sind facettenreich und interessant, zeigen mal einen weichen Strich, mal aggressive Konturen. Thompson kann jede Figur klar charakterisieren, ohne viele Worte verwenden zu müssen. Die sehr detailreichen, minutiös illustrierten Panels der städtischen Slums, die im Müll versinken, vermitteln eine eindringliche Atmosphäre.

Die Szenen, in denen Mythen und Geschichten des Quran erzählt werden, weichen stark von der Rasterform ab. Die Geschichte fließt ineinander und es entsteht eine dynamische Struktur.
Häufig sind die bereits genannten Ornamente auch in diesen Teilen der Geschichte im Hintergrund oder im Rahmen eines Panels eingeflochten.
Jede dieser Seiten lässt einen in Ehrfurcht vor dieser gewaltigen Arbeit zurück. Kein Wunder, dass zwischen dem mit internationalen Preisen überhäuftem „Blankets“ und „Habibi“ sechs Jahre vergingen.

Am Ende dieses massiven Comics sind außerdem die Quellen der religiösen Geschichten und Sagen aufgeführt.

Auch hervorzuheben ist die Einbandgestaltung mit goldenem Besatz, umschlossen von der sich durchs gesamte Werk ziehenden Ornamentik.

Fazit
„Habibi“ ist ein absolutes Muss! Man kann mit diesem Buch einfach nichts falsch machen. Die Geschichte ist herzzerreißend tragisch, romantisch und hoffnungsvoll. In den vielen religiösen Gleichnissen werden absolut wissenswerte und interessante Antworten über die drei abrahamitischen Religionen gegeben. Der Quran wird, frei von Wertung, in seinen Kernaussagen und Ursprüngen vor den Leser:innen erörtert und mit Leben ausgefüllt. „Habibi“ ist für den Preis von 39€ weitaus mehr als eine gute Investition für jeden, der sich für Religionen, emotional tiefgreifende Figuren und ein Märchen dieser Tage begeistern kann. Eine ganz klare Kaufempfehlung und ein dringender Aufruf, diesem Werk (weiterhin) Aufmerksamkeit zu schenken.
Pro
Ein absolutes Muss. Es ist schier atemberaubend, wie großartig diese massive Graphic Novel gestaltet ist.
Kontra
Nichts.
10

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

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