Hier gibt es keine Bären

2. Januar 2022
1 Minute Lesezeit

Wer bin ich? Vor wem bin ich wie und welche Rollen nehmen wir in unterschiedlichen sozialen Kontexten an? Diesen Fragen geht die Graphic Novel „Hier gibt es keine Bären“ in einer surrealen Erfahrung nach.

Das klappenbroschierte Softcover wurde von Jennifer van de Sandt geschrieben und gezeichnet. Es ist ein hochwertig gedrucktes und haptisch schönes Werk, das der Jaja-Verlag veröffentlicht hat.

Uber die Spiegelung zur eigenen Selbsterfahrung

Ein ungleiches Paar, eine Wolfsdame und ein großer Bär, sitzt auf einem kleinen Boot und angelt. Dabei gerät die Wölfin ins Philosophieren und fürchtet:

„Eine rückgratlose Kreatur des gesellschaftlichen Mittelmaßes“

zu werden. Denn sie fragt sich:

„Was wäre, wenn wir uns äußerlich in unser wahres ICH verwandeln könnten?“

Denn ihre größte Angst ist es, dass alle zu Kakerlaken werden würden, da sie nur etwas vor sich hertragen, das die drunterliegenden Ängste und Missetaten versteckt.

Als sie plötzlich in den Teich fällt und beim Aufwachen merkt, dass sie sich in einer parallelen Welt wiederfindet, beginnt die Reise in die Erkenntnis.

So trifft sie auf mehrere tierische Wesen, mit denen sie ihre Ansichten zu gesellschaftlichem Miteinander, Vorurteilen und der Angst vor dem Ungewissen miteinander austauscht.

Diese surreale Reise führt sie wieder zurück in die Arme ihres Freundes, dem Bären, ganz beiläufig, als wäre nie etwas geschehen.

Eine treffende Parabel auf das Leben und den stetigen Ansprüchen und Veränderungen, denen man sich unterworfen fühlt, ohne dass sich dabei wirklich etwas zu ändern scheint.

Stil und Struktur

Jennifer van de Sandt gelingt es, innerhalb weniger Seiten eine große Dichte an Gedanken in ihren Bildern und Dialogen zu verarbeiten. Der Zeichenstil erinnert an die Darstellung von Tiertotems: Kantig, auf eine gewisse Weise sogar grob und dennoch filigran in seinen Details. Die Figuren drücken sich visuell durch Körpersprache aus, manchmal auch durch abstrakte Visualisierung. Beispielsweise wird der Hase, der stellvertretend für eine Persönlichkeit mit vielen Gesichtern stehen mag, mit mehreren Köpfen an langen, schlangenartigen Hälsen dargestellt.

Die Struktur dieser Graphic Novel ist sehr innovativ. Mehrere Teile eines Gesprächs werden, sich als Teil eines Ganzen verstehend, übereinandergelegt. Die Figuren, die häufig nur aus Outlines zu bestehen scheinen, gehen dabei ineinander über und führen eine Bewegung fort. Daher ist dieses Werk trotz seiner 40 Seiten visuell und erzählerisch sehr intensiv und verdichtet.

Die farbliche Darstellung beläuft sich auf wenige, sehr gedeckte Töne. Ein weiches Blau, wie es das Cover zeigt, wird von sandgelben und grünen Tönen komplementiert. Die Outlines sind oft braun oder schwarz, die dann zu den teilweise weißlichen Flächen schöne Kontraste bilden.

Fazit
Dieses so unscheinbare Werk „Hier gibt es keine Bären“ ist wie das sprichwörtliche Wasser: Viel tiefer als sich auf den ersten Blick vermuten lässt. Die Künstlerin schafft es, visuelle und thematische Bögen zu spannen, die sehr viele interessante und diskussionswürdige Konzepte ansprechen. Das Phänomen einer gesellschaftlichen Maske ist wohl jedem mehr oder weniger bekannt, wenn auch nicht immer reflektiert oder gar bewusst. Sich dennoch dem Glauben hinzugeben, wir wären alle immer unser bestes Ich, scheint eine falsche Behauptung. Jennifer van de Sandt stellt eindrucksvoll die Gewissheit des Selbst kunstvoll und spielerisch zum Diskurs.
Pro
Jennifer van de Sandt stellt eindrucksvoll die Gewissheit des Selbst kunstvoll und spielerisch zum Diskurs und punktet dabei mit spannenden Illustrationen, interessanten Gedanken und überzeugenden Farben.
Kontra
Die Zeichnungen sind manchmal schwer zu durchblicken.
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Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

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