Moebius Collection: Die blinde Zitadelle / The Long Tomorrow / Die Augen der Katze

20. Juli 2021
3 Minuten Lesezeit

Jean Giraud, besser bekannt als Moebius, ist einer der einflussreichsten Comic-Künstler des letzten Jahrhunderts. Nicht nur ausschließlich auf das Genre Science-Fiction, sondern auch auf das Medium Comic als solches übte er großen Einfluss aus. Auch in Film und Fernsehen hat er mit seinen Werken neue inspirierende Wege für kommende Generationen eröffnet. Einige seiner eindrucksvollsten und nachhaltig einflussreichsten Comics hat der Splitter Verlag in dieser Sammlung in einem dicken Hardcover-Album veröffentlicht.

Bevor man in die Lektüre der Comics einsteigt, lohnt es sich definitiv, einen Blick in das Nachwort zu werfen. Darin beschreibt der Moebius-Experte Florent Chastel, in welchen anderen Medienerzeugnissen sich Anlehnungen oder gar ganz konkrete Adaptionen der darin enthaltenen Comics finden lassen.

Themen und Geschichten

Aufgrund dessen, dass sich eine Vielzahl an Comics in dieser Collection finden, lässt sich nur schwer eine nicht ausartende Zusammenfassung schreiben. Die Themen und Geschichten sind vielfältig und reichen von archetypischen Rachemotiven über die Suche nach Gerechtigkeit bis hin zu mystischen Reisen, deren Ausgänge meist tragisch sind.

Auch nicht alle dieser Geschichten sind in ihrem Setting von Grund auf der Science-Fiction zuzuschreiben. Die Geschichte „Die blinde Zitadelle“ beispielsweise ist als ein eher mittelalterliches Konzept mit Rittern und Elfen angelegt, das allerdings durch die extraterrestrische Entität der „Zitadelle“ einen Sci-Fi-Anstrich erhält.

Besonders hervorzuheben ist (laut Chastel; im Kommentar am Ende zu lesen) der Comic „Albtraum in weiß“. Dies ist das einzige sozialkritische und einen direkten Bezug zum öffentlichen Diskurs nehmende Werk von Jean Giraud. Darin schildert er einen von rassistischen Motiven durchdrungenen Überfall. Es wird der einzige Comic dieser Art des sonst eher unpolitischen Moebius bleiben.

Die wohl verstörendste und in ihrer Erzählstruktur andersartigste Geschichte ist „Die Augen der Katze“. Dieses Werk ist zusammen mit Alejandro Jodorowsky entstanden. Er wurde ein guter Freund des französischen Künstlers Moebius und ist wohl am ehesten bekannt für sein Schaffen an der Comic-Reihe „Incal“.
„Die Augen der Katze“ macht etwas, das sich bis zu diesem Zeitpunkt niemand traute. Jedes Panel ist eine ganze Seite, wobei nur die rechte Seite eine fortlaufende Bebilderung erfährt. Die jeweils linke Seite zeigt, mit knappen Worten unterstützt, fast ausschließlich denselben Bildausschnitt. Eine Darstellung, die sich mit einer cineastischen Erzählweise durchaus messen kann.

Das Cover dieser Collection zeigt ein Panel aus „The Long Tomorrow“. Bereits das schwebende Auto lässt erahnen, in welcher Zeit sich diese Geschichte bewegen wird. Dass allerdings so viele danach erschienene Filme sich an diesem einen Comic bedient haben, überrascht umso mehr. In der atmosphärischen Dichte, dem Worldbuilding, dem Design der Vehikel und Figuren lassen sich so viele spätere Werke erkennen. Wie auch Chastel herausstellt, sind Blade Runner, „Das fünfte Element“ und einige Ideen zu „Star Wars“ direkt oder als Inspiration aus diesem einen Comic hervorgegangen. Jean Giraud arbeitete zudem auch gerne und viel mit Produzenten, Regisseuren und Entwicklern verschiedenster Hollywood-Produktionen zusammen. Viele dieser ikonischen Filme sind heute häufig auch wegen ihres visuellen Entwurfs zu Kultfilmen geworden.

Der Stil und seine Nachwirkungen

Der in diesem Comic gezeigte Zeichenstil ist die konsequente Weiterentwicklung der franko-belgischen „Ligne-claire“, die sich heute immer noch in den Comics „Asterix“ finden lässt. Allerdings hat Moebius in seinen Bildern etwas, das sich nur schwer in Worte fassen lässt. Häufig erzählt sich eine Geschichte in seinen Comics ausschließlich über die Bildsprache. Daher sind Perspektive, Dimensionen der Figuren, Größe der Objekte in der Umgebung, Formgebung im Allgemeinen und auch die Verwendung der Farben etwas, das unbeschreiblich viel zur Atmosphäre einer jeden Geschichte beiträgt. Die für Moebius markante Methode, seinen Bildern Struktur zu geben und sie mit der Welt verschmelzen zu lassen, ist ein feines Zusammenspiel aus kleinsten Schraffuren und Farben. In manchen Bildern lassen sich tausend kleine einzelne Punkte und kurze Linien erkennen, die eine immense Wirkung auf die Komposition haben.

Wer einmal einen Comic von Moebius gesehen hat, wird ihn sicherlich immer und überall wiedererkennen. Auch die schiere Anzahl an stilistischen Entlehnungen lassen sich in so vielen Comics und auch Anime und Manga wiederfinden. Denn kein Geringerer als Hayao Miyazaki gibt offen zu, dass Moebius für ihn eine prägende Figur bei der Entwicklung seines Films „Nausicäa – Im Tal der Winde“ war. Die beiden Künstler hegten eine über die Jahre besser werdende Freundschaft, sogar so weit, dass Jean Giraud eine seiner Töchter nach der Heldin des gleichnamigen Films benannte.

Fazit
Es erschlägt einen fast, wenn man sich den weitreichenden Einfluss und das Wirken dieses exzeptionellen Künstlers betrachtet. Die unglaubliche Anzahl an Filmen, die Gründung des Stils „Cyberpunk“, die unendlichen Anspielungen auf seine Designs in mehr als 20 Jahren Mediengeschichte und ein steigendes Interesse daran, die Kunst dieses Großmeistes der neunten Kunst zu entdecken, sprechen Bände. Der Splitter Verlag wird daher auch noch einen vierten Band dieser Sammlung hinzufügen und somit die prägendsten Comics des Jean Giraud, dem Mann namens Moebius, einem neuen Publikum bekannt machen. Die Comics erschließen sich nicht alle sofort, da sie viel über ihre bildliche Symbolik arbeiten. Einige der Comics sind sogar so kurzweilig und oftmals verstörend, dass eine wirkliche Auseinandersetzung damit zwingend nötig wäre. Die sich hierin findenden Comics sind in ihrer Illustration fast immer klar strukturiert und sagenhaft gut. Die Geschichte, die dahinter steht, lässt sich besser mit dem Kommentar einordnen, bleibt aber selbst dann manchmal inhaltlich da stehen, wo die Begeisterung für Zeichnung aufhört. Der Zeichenstil prägt und bestimmt vor allem bei seinen Solo-Werken häufig die Story und scheint nach dem ersten Lesen gelegentlich als Mittel zum Zweck. Die „gehaltvolleren“ Comics sind dann dennoch oft die, bei denen Autoren mitarbeiteten. Allein aber wegen der interessanten kulturhistorischen Einordnung durch Florent Chastel lohnt sich ein Blick in dieses Werk. Die Arbeiten des Moebius bewegen sich allesamt in einem anderen Selbstverständnis von Kunst und strahlen dies auch aus. Sowohl Fans als auch Neueinsteiger können aus diesem zweiten Band der „Moebius Collection“ etwas herausziehen und einen bleibenden Eindruck dieses Ausnahmekünstlers Jean Giraud gewinnen.
Pro
Sowohl Fans als auch Neueinsteiger können aus diesem zweiten Band der "Moebius Collection" etwas herausziehen und einen bleibenden Eindruck des Ausnahmekünstlers Jean Giraud gewinnen.
Kontra
Teils stark verschlüsselte Symboliken.
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Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

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