Sunny 1

9. Mai 2021
2 Minuten Lesezeit

Sonnig, fröhlich, vielleicht sogar optimistisch sorgenfrei sind Assoziationen, die einem bei dem Wort „Sunny“ in den Kopf kommen könnten. Taiyo Matsumotos gleichnamige Manga-Reihe erzählt aber alles andere als eine durchweg optimistische und sorgenlose Geschichte.

Der Autor und Zeichner hat in diesem Werk seine eigene Geschichte verarbeitet, wobei es wichtig ist zu betonen, dass es kein reiner autobiografischer Manga ist. Dem Nachwort zu entnehmen, betont Matsumoto aber, dass einige dieser sechs Kurzgeschichten in „Sunny 1“ Anekdoten enthalten, die so geschehen seien. Dieses Werk erscheint bei Carlsen.

Die Handlung

Die Geschichte von „Sunny“ spielt im Kinderheim „Sternenkinder“ in den (wie es scheint) 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Dorthin wird der intelligente, ungefähr 9 oder 10 Jahre alte Sei von seinen Eltern abgegeben, ja, mehr abgeschoben. Die Kinder, die dort leben, nehmen ihn freundlich auf und freunden sich mit ihm an.

In diesem ersten Band sind die präsentesten Figuren: Haruo, den alle Kinder wegen seiner weißen Haare in der Schule nur „White“ nennen, und Junsuke, dessen struwweliger Kopf, die ständige verrotzte Nase und immer geröteten Wangen das Bild komplettieren. Diese zwei Jungen werden als handlungstragende Figuren etabliert.
Ihre besten Momente erleben sie im fahruntüchtigen Datsun Sunny 1200, der auf dem Hof steht. In diesem Auto werden Erwachsenenheftchen versteckt, Beziehungskrisen ausdiskutiert oder einfach die Flucht vor der Realität mit einer „Spritztour“ durch die Fantasie bewältigt.

Wir erleben das Kinderheim und alle seine Protagonisten, die mehr oder weniger relevanten Nebenfiguren, vor allem aber das Geflecht aus fein erzählten zwischenmenschlichen Erlebnissen. Die Streiterei um ein Spielzeug, begeisterte Aufregung über Besuch oder die Melancholie, die sich in vielen Momenten mehr als subtil spürbar durch die Geschichte zieht, sind nur einige der sehr authentisch erzählten Facetten dieses Zusammenlebens. Dies liegt, wie bereits angedeutet, daran, dass der Künstler selber eines dieser Kinder war, „die keiner wollte“.

Dieses Thema wird des Öfteren in verschiedenen Formen angesprochen und auf unterschiedliche Weise gelöst. Was wird aus einem, wenn einen niemand mehr will? Was wird geschehen, sollte man jemals sterben und niemanden kümmert es? Was wäre, hätte man einen Unfall und niemand würde sich sorgen?
Diese und weitere kleine Aspekte des Lebens aus kindlich-jugendlicher Sicht schafft Taiyo Matsumoto so erstaunlich überzeugend zu erzählen, dass man, wie bei einer guten Serie, sofort zum nächsten Band greifen möchte. Denn obwohl die Geschichte nur einige Spannungsbögen hat, wachsen einem die Figuren ans Herz.

Der Stil

Der Mangaka, dessen vorherige Werke „Tekkon Kinkreet“ und „GoGo Monster“ waren, ist keinesfalls einem klassischen Manga-Stil zuzuordnen.

Die Figuren sind oftmals grotesk und mit viel Mut zur Entstellung, teilweise sogar recht hässlich gezeichnet. Dass Matsumoto sein Handwerk gemeistert hat, zeigt er dann an anderer Stelle: Panels, in denen schöne Porträts einiger Figuren zu sehen sind, absolut interessante und wunderschön umgesetzte Perspektiven des Handlungsgeschehens und die oftmals ambivalenten Gefühle in nur einem Blick verarbeitet.

Der ganze Manga zeichnet sich zudem durch die Benutzung von Aquarell-Techniken im Verbund mit den teils kräftigen Tuschezeichnungen aus. An einigen Stellen könnte man sogar meinen, es wurde mit einem schwarzen Kugelschreiber (akzentuiert oder nur für die Outlines) gearbeitet. Ein Stil, der anfänglich gewöhnungsbedürftig ist, wenn man einen konventionellen Manga erwartet oder (dem Cover nach urteilend) klare saubere Bilder erhofft. In manchen Szenen konnte sich ein „Beavis und Butt-Head“ Stilvergleich einfach nicht länger verdrängen lassen, mit weit aufgerissenen Mündern, verzogenen Gesichtern und Körperproportionen, die nicht immer sinnvoll sein müssen.

Fazit
Hat man sich einmal mit dem Zeichenstil angefreundet, kommt man nicht mehr davon weg. Taiyo Matsumoto schafft es in einer unaufgeregten, gleichzeitig subtil melancholischen Stimmung, die Geschichten und Sorgen der „Sternenkinder“ zu erzählen. Dabei verfallen die Geschichten zu keiner Zeit in ein nur zu oft in Comics zu findendes Pathos, in Mitleid oder Stereotype, um seinen Figuren etwas zu geben, dass sich sicherlich jeder im Leben wünscht: echte ehrliche Gefühle. Eine Empfehlung für Leser:innen mit Blick auf den Tellerrand vom Nachbarn, wo sich vielleicht Dinge finden lassen, die man so noch nicht gesehen und gelesen hat. Mit 16€ ist dieses über 220 Seiten starke und auf kräftigem Papier gedruckte Werk definitiv einen Kauf wert.
Pro
Großartige Figuren und "schöne" melancholische Momente prägen den ersten Band.
Kontra
Der Zeichenstil ist gewöhnungsbedürftig.
8

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

Über Hünerfürst.de

Einer der bekanntesten deutschen Netzkultur Blogs seit 2009. Nils Hünerfürst und seine Familie schreiben hier auf Hünerfürst.de über Technik, Kultur, Essen und Videospiele.

Über den Autor

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

Sportwetten Tipps von Overlyzer
Vorheriger Beitrag

Protein-Keksteig zum Löffeln von Shape Republic

Nächster Beitrag

Die Vergangenheit und Zukunft der Falträder

Letzten Beiträge von Blog

Der Magische Fisch

Der Comic „Der magische Fisch“ richtet sich, wie das Programm des Imprints Crocu des Ludwigsburger Verlags Cross Cult, ganz explizit an ein
Batman Justice Buster 2

Batman Justice Buster 2

In „Batman Justice Buster 2“ führt der Autor Eiichi Shimizu mit dem Zeichner Tomohiro Shimoguchi fort was sie im ersten Band groß

Dark
Light