#Comictober Blood on the Tracks 4

15. Oktober 2023
2 Minuten Lesezeit

Diese Reihe ist auf beklemmende Art und Weise außergewöhnlich. Der mittlerweile preisgekrönte Mangaka Shuzo Oshimi hat mit „Blood on the Tracks“ etwas ins Rollen gebracht, das seinesgleichen sucht. In diesem vierten beim Imprint Manga Cult des Ludwigsburger Verlags Cross Cult erscheinenden Bandes spitzt sich einiges zu. Die Emotionen kochen über, es wird laut, es wird schmerzhaft und es wird wie immer extrem Unwohlsein erregend. Wem das noch nicht gereicht, um überzeugt zu sein, dass diese Reihe eine Achterbahnfahrt der Gefühle ist, sollte weiter lesen.

„Gewalt erzeugt Gegengewalt“

Mit diesem Zitat aus dem Jahr 1995 Ärzte-Song „Schunder-Song“ starten wir direkt in Medias Res. Der 14 jährige Seiichi leidet massiv unter der psychischen und nun fortschreitend physischen Misshandlung durch seine Mutter Seiko. Nach dem versuchten Mord an seinem Cousin Shigeru gibt sie ihm widersprüchliche und an Manie erinnernde Signale der emotionalen Bindung. Immer wieder stößt sie ihn weg, nur um ihm die entzogene „Liebe“ dann als seine Retterin zu schenken. Diese überaus disfunktionale und missbräuchliche Beziehung zwischen Mutter und Sohn macht sich schließlich Luft. Seiichi leidet immer noch an Psychoglossie, ein Stottern wegen zu großer psychischer oder emotionaler Belastung. Natürlich ist er damit gefundenes Fressen unter Pubertären Schüler:innen, die ihre Härte und Coolness immer wieder auf die Probe stellen. Seiichi rastet aus. Er tut niemandem weh und doch wird klar, dass man sich keines Wegs mit ihm anlegen sollte, als er ein Loch ins hölzerne Lehrerpult tritt.

Der begonnene Kontakt zu Yukio Fukiishi intensiviert sich jedoch zeitgleich. Sie sitzen regelmäßig bis spät in den Abend auf einer Bank nah eines Feldes. Irgendwann traut sich der immer noch stotternde Seiichi, ob Yukio nicht seine Freundin sein möchte. Erst die Öffnung der Beiden zueinander und das gegenseitige emotionale „Handreichen“ lässt die Anspannung und somit das Stottern aus Seiichis Körper entweichen. Als Sei wage andeutet, was mit seiner Mutter nicht stimmt, trifft er auf offene Ohren. Yukio selbst berichtet von einem gewalttätigen und dem Alkohol nahen alleinerziehenden Vater. 

Das Glück der Teenager könnte so schein, wäre da nicht die Mutter Seiko. Sie riecht an ihrem Sohn, so als wäre es ihr Ehemann, um einen fremden Geruch zu erfassen. Auf die Fragen woher dieser Geruch käme, antwortet Seiichi zumeist wieder schwer stotternd, dass es sich um nichts besonderes handele. Es entsteht für einen Moment die Hoffnung, dass er Kraft gewinnt und sich seiner missbräuchlichen Mutter entsagen soll. Wie wenig er dazu in der Lage ist, zeigt die Konfrontation mit seiner Mutter in Anwesenheit seiner Freundin Yukio. Diese Szene ist sehr angsteinflößend und zeigt einen beeindruckenden Teil des Wahnsinns dieser Frau.

Nah und Fern, Hell und Dunkel

Die Raffinesse der Bilder des Shuzo Oshimi ist die Mischung aus Close-Up, im Schock aufgerissene Augen, dunkle Silhouetten in kampfbereiter Körperposition und einer alles wieder beruhigenden Ansicht der Szenerie. Der harte Wechsel dieser Perspektiven und die zunehmende Anzahl an Close-Ups und Detailansichten von Mündern oder Augen machen das Lesen zu spannend und aufwühlend. Es ist jedes Mal extrem Schade, dass man so rasant durch die häufig wortlosen Seiten fliegt. Vom Schock zur Abscheu, über die süßliche Teenager-Liebe, die mit viel errötende Gesichter andeutende Schraffuren fast schon kitschig ist, bis zum „The Ring-Moment“ dieses vierten Bandes macht man alles durch. 

Leidtragend ist nicht nur der körpereigene Adrenalinhaushalt, sondern im schlimmsten Fall eine gute Nacht, da diese Bilder einem einfach unter die Haut gehen. 

Blood on the Tracks 4 Cross Cult Manga Cult Cover
Schockierender Page-Turner
„Blood on the Tracks 4“ knüpft nahtlos am extrem hohen Niveau der Vorgänger an und lässt einen mit Hunger auf mehr und einem rasenden Puls zurück. Diese Serie trifft einen Nerv der Zeit, die sich grad viel mit Identitäten beschäftigt und moralische und ethische Grenzen neu auslotet. Einen ähnlichen Prozess nimmt diese Manga-Reihe auf sich. Sie stellt Behauptungen, Tatsachen auf, lässt die Leser diese nach eigenen ethischen Regeln bewerten, nimmt dem Protagonisten und zu Teilen auch dem sich identifizierenden Lesenden die Identität und spuckt einen wieder ins Becker der heilen funktionierenden Welt. Unfassbar spannendes Werk, dessen Zukunft noch in den Sternen steht, da der Prolog erst mit Band 12 abgeschlossen sein soll.
Pro
Schockierende Bilder
Extrem spannend
Handlung entwickelt sich organisch
Kontra
10

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

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