Eine Rucksackreise durch Japan – Fünfundzwanzigster Teil – Besserung und neue Pläne

7. August 2024
8 Minuten Lesezeit
  1. Eine Rucksackreise durch Japan – Erster Teil – Die Ausfahrt „Nichtraucher“
  2. Eine Rucksackreise durch Japan – Zweiter Teil – die ersten Schritte
  3. Eine Rucksackreise durch Japan – Dritter Teil – auf die inneren Werte kommt es an
  4. Eine Rucksackreise durch Japan – Vierter Teil – Sprachbarrieren
  5. Eine Rucksackreise durch Japan – Fünfter Teil – Zu Gast bei Familie Takahashi
  6. Eine Rucksackreise durch Japan – Sechster Teil – Heiß, Heißer, Onsen
  7. Eine Rucksackreise durch Japan – Siebter Teil – It’s a Long Way From Home
  8. Eine Rucksackreise durch Japan – Achter Teil – Kontraste
  9. Eine Rucksackreise durch Japan – Neunter Teil – Allein unter Tausenden
  10. Eine Rucksackreise durch Japan – Zehnter Teil – Yukatas, Trommeln und eine Erkenntnis
  11. Eine Rucksackreise durch Japan – Elfter Teil – Ein langes Gespräch und wenig Bewegung
  12. Eine Rucksackreise durch Japan – Zwölfter Teil – Mitten im Nirgendwo
  13. Eine Rucksackreise durch Japan – Dreizehnter Teil – Die Magie der Zeit
  14. Eine Rucksackreise durch Japan – Vierzehnter Teil – Klima, Verkehr und ein Paar auf Hochzeitsreise
  15. Eine Rucksackreise durch Japan – Fünfzehnter Teil – Die Stadt des Tons
  16. Eine Rucksackreise durch Japan – Sechzehnter Teil – Eine Zeitreise
  17. Eine Rucksackreise durch Japan – Siebzehnter Teil – Kyoto, die Stadt der Reizüberflutung
  18. Eine Rucksackreise durch Japan – Achtzehnter Teil – Ein Tag in der Mall und eine Massage
  19. Eine Rucksackreise durch Japan – Neunzehnter Teil – Die Suche nach Tee und das Nachtleben
  20. Eine Rucksackreise durch Japan – Zwanzigster Teil – Körperlich ausgelaugt
  21. Eine Rucksackreise durch Japan – Einundzwanzigster Teil – Ein Tag im Nebel
  22. Eine Rucksackreise durch Japan – Zweiundzwanzigster Teil – Mit Höchstgeschwindigkeit zur Regeneration
  23. Eine Rucksackreise durch Japan – Dreiundzwanzigster Teil – Der Schrittzähler bleibt stehen
  24. Eine Rucksackreise durch Japan – Vierundzwanzigster Teil – So viel Zeit und doch nichts passiert
  25. Eine Rucksackreise durch Japan – Fünfundzwanzigster Teil – Besserung und neue Pläne
  26. Eine Rucksackreise durch Japan – Sechsundzwangzigster Teil – Hören-Sagen
  27. Eine Rucksackreise durch Japan – Siebenundzwanzigster Teil – Narita
  28. Eine Rucksackreise durch Japan – Achtundzwanzigster Teil – Eine zufällige Bekanntschaft
  29. Eine Rucksackreise durch Japan – Neunundzwanzigster Teil – Die letzten Einkäufe
  30. Eine Rucksackreise durch Japan – Dreißigster Teil – Die Rückreise & Abrechnung

Heute war der Tag gekommen, an dem ich endlich allein die Stadt erkunden wollte. Meinen Füßen ging es dank der magischen Kortison-creme sehr viel besser und ich wollte einige für mich interessante Punkte ansteuern. Mein erstes Ziel, ganz gemütlich am frühen Mittag das Hotel verlassend, war der Tokio-Tower. Es hieß man hätte für ein paar Yen auch oben auf den Turm fahren können. Dies hätte ich ganz gern gemacht, als ich dann jedoch später sah wie lang die Schlange dort stand und auf Eintritt wartete, verging mir die Freude daran. Als Alternative dazu existiere ein Bürogebäude, das so immens hoch sei, dass man die kostenlose Nutzung der Fahrstühle als inoffizielle Alternative zum Tokio-Tower ansteuern könnte. Ich wollte mir dieses Ziel noch für den späteren Verlauf des Tages offen halten.

Die Ankunft am Tokio-Skytree und der Besuch einer der größten Ghibli-Shops befriedigten einen Teil meines sonst nicht existenten Bedürfnisses nach Souvenirs. Dieser Laden war so übervoll mit Menschen und Zeug. Ich musste sofort an die übervollen Bars in Nachtclubs denken. Allerdings wurden dort nur Plüschtiere, Anhänger, Poster und andere Fan-Artikel verkauft. Ich suchte die Totoro-Figur, die sich mein Bruder für viel Geld aus Japan hat einschiffen lassen. Leider war eben jene Figur nirgendwo erhältlich, also belief es sich auf den kleinen blauen Helfer des Waldgottes. Als die Welle der Fans abebbte, verließ ich den Laden wieder, nicht ohne ein Foto von der lebensgroßen Totoro-Figur zu machen, und fand zurück in die sengende Mittagshitze.

Ich fand einen kleinen Moment der Pause, ehe ich mich wieder zur U-Bahn begab. In den Katakomben der Bahnstation befand sich natürlich eine Mall, in der sich die dicht gedrängte Masse von Menschen zu Hunderten, wenn nicht Tausenden, durch die Gänge des Bahnhofs, die Rolltreppen hinauf und durch die Flure der Einkaufsstraße unter dem Tokio-Tower schoben. Ich war ein wenig von den Reizen überflutet. Schließlich saß ich nun tagelang in der Hotel-Lobby rum und hatte minimalen Menschenkontakt und wenn dann immer nur in kleinen Dosierungen. Nun brauchte ich dringend eine Pause. Wie schnell man sich doch an eine Realität gewöhnte, stellte ich wieder fest. Um Abhilfe zu schaffen, schnappte ich mir meine Kamera und baute so eine Distanz zur Umwelt auf, die mir half mich selbst in dieser Situation auf abstraktere Weise zu begreifen, denn ich dokumentierte nun die Eindrücke und war nicht mehr zwingend eben jenen Reizen ausgesetzt. Ein scheinbar kleiner Unterschied, der mir doch in so mancher Situation die Verarbeitung meiner Umwelt erheblich erleichterte.

Ich holte mir eine kleine Stärkung in einem Konbini in der U-Bahn und fuhr nur ein paar Stationen, ganz in die Nähe des Hotels, welches mir meine allererste Nachtruhe in Tokio ermöglichte. In der Umgebung von Ueno befand sich schließlich auch Akihabara, das Viertel, das bekannt für die ausgelebte Manga-Anime und Otaku-Kultur war. Hinter dem Wort „Otaku“ steckte im Grunde nichts anderes als das englischsprachige „Nerd“ oder „Geek, also eine Person die mit viel Aufmerksamkeit und Zeit sich einem Thema widmete. In diesem speziellen Fall war es die Anime- und Mangakultur. Dort wollte ich unbedingt hin und mir einen Eindruck vom legendären Akihabara verschaffen.

Der Fußweg dorthin führte mich durch kleine Straßen, im Schatten der Hochgleisen und umliegenden Hochhäuser, entlang einiger schäbig aussehenden und von der Straße abgewandten Häuserfassaden durch kleine Gassen und Schleichwege. Erneut versuchte ich mich fern von den Hauptstraßen und seiner dicht gedrängten Kulisse zu bewegen. Wiedermal empfand ich die temporäre Ruhe in den Straßen, durch das Ausbleiben eines konstanten Autoverkehrs, als äußerst positiv.

Die Häufigkeit der traditionellen und auffällig nach Anime-Cosplay aussehenden Kleidung wuchs mit jedem weiteren Häuserblock, den ich mich Akihabara näherte. Von der einen zur Nächsten Straßenecke veränderte sich die Szenerie komplett. Ein überwältigende Fülle an Menschen drängte sich an Ampelkreuzungen, schoben sich aneinander vorbei ohne sich wirklich physisch bei Seite zu drücken und redeten aufgeregt durcheinander in diesem nur vier winzige Querstraßen umfassenden Viertel. Zu Beginn fand ich die Schaufenster noch ganz spannend. Die vielen Figuren, nicht, dass ich jemals soweit in meinem Fantum gewesen sei mir eine solche Anime-Statue zu kaufen, sowie die tausenden Mangas und Animes waren überwältigend. Alles erschien mir maximal bunt und aufdringlich. Nach nur ein paar Geschäften jedoch bemerkte ich die sich ähnlicher werdenden Angebote und Verkaufsmechanismen. Einige der Läden waren jedoch besonders, allein ihrer Größe wegen. Über fünf Stockwerke hinweg fand man dort die geballte japanische Pop-Kultur unter einem Dach. Mir war das so schnell zu viel, dass ich mich nur kurz in Akihabara aufhielt und schnell das Weite suchte.

In einer der Nebenstraßen passierte ich zum ersten Mal bewusst eines dieser für Tokio sehr bekannten Katzen-Cafés. Die großen Fenster, des auf Schulterhöhe erhöhten Ladens ermöglichten einen Blick auf die dort lebenden Tiere. Ich weiß nicht viel über Katzen, aber so wie die wenigen dort auf der Fensterbank sitzenden Tierchen aussahen, wirkte es nicht so, als wäre dieses Ladenkonzept eines das beide Parteien gleichermaßen beglückte. Die Menschen im Café erfreuten sich an ihrer tierischen Gesellschaft und man hörte auch vor dem Fenster des Geschäfts mehrere kleine Gruppen ein freudig, süßes „Ooohhh“ von sich geben.
Ich konnte nicht anders als das selbe „Ooohhh“ zu denken. Allerdings nicht aus aus rührseliger Entzückung über das Süßsein eines Tiers, mehr aus einer mitleidigen und verstörten Empfindung heraus. Es schien mir nicht die beste Lösung für das Problem, das viele Anwohner Tokios haben. Sie durften sehr häufig keine Haustiere halten, was dazu führte, dass man so gut wie nie Hunde sah. In den ländlichen Regionen, wo Menschen noch in ihrem eigenen Haus wohnten, traf ich natürlich mehr, wenn auch allgemein sehr wenige Haustiere an. Die in Tokio lebenden Menschen jedoch mussten auf diese Etablissements zurückgreifen, um sich eine kleine und zeitlich sehr begrenzte, außerdem durch die Öffentlichkeit einsehbare, Portion von Zuneigung zu einem Tier zu holen. Ob nun alle Menschen, die in ein solches Café gingen dem Gedanken anhingen, dass sie mit ihrer Zuneigung und den vielen Liebkosungen den Tieren etwas Gutes gaben, wusste ich nicht. Irgendwie schien es sich dann doch ausschließlich um die Menschen zu drehen, die in ihrer teilweise egoistischen und vor allem pragmatischen Suche danach ihre Zuneigung, die sie einem Tier gegenüber erbrachten, am eigenen Leib zu spüren zu können. Also ein sich selber in der Seele streicheln, über den Umweg des Katzenfells. Da dies nun auch ein Geschäft war, schien mir das Leben einer solchen Katze nicht sehr artgerecht. Ich würde noch ein weiteres Katzen-Café, in einer Mall meiner nach Tokio folgenden Stadt Narita, in ein paar Tagen sehen. Dort verstärkte sich der Eindruck zur nicht existenten artgerechten Haltung nochmals, als ich die Mitarbeitenden eher lustlos, die Katzen wie Attraktionen und Objekte behandelnd, das Futter verteilend, beobachteten würde.

Also lief ich nun mit mehr oder minder wachen Augen, der Kamera im Anschlag und merklich nicht ganz gesundeten Füßen durch die Innenstadt Tokios und gelangte schnell in eine Gegend, die mir wie eine „Straße der gehobenen Mittelschicht“ vorkam. Die Fassaden glänzen noch ein wenig mehr als gewöhnlich, die Menschen die dort herumliefen waren durchschnittlich adretter gekleidet. Große Straßen reihten sich in regelmäßigen Quadraten aneinander, wobei einige dieser sehr breiten Hauptstraßen für den motorisierten Nahverkehr versperrt waren. Also schlenderten die in Anzügen und hübschen Kleidchen gekleideten Paare und Touristen hierhin und dorthin. Aus einer Laune heraus betrat ich eines dieser riesigen Kaufhäuser und machte einige schöne Entdeckungen.

Ich stieß wieder einmal auf Tee. In einem sehr noblen Geschäft, welches von freundlichen Mitarbeitenden geführt wurde, fand ich eine Vielzahl sehr interessanter und hochwertiger Grüntee-Sorten. Auch wenn die Preise dem Umfeld entsprechend hoch waren, konnte ich nun kurz vor Ende meiner Reise keines der Angebote abschlagen. Eine prall gefüllte Tüte feiner japanischer Tees reicher und einiges an Geld ärmer, erkundete ich die oberen Geschosse dieses Kaufhauses und machte meine zweite Entdeckung. In vielen solcher großen Geschäfte fand sich eine Art Steuerrückerstattung für Touristen. Dies bedeute, dass man die dort gekauften Belege einfach einscannen musste, seinen Pass hinterlegte und kurzum die gezahlten Steuern sofort Bar auf die Hand zurück erhielt. Wie genau sich diese Art der Steuerbegünstigung erklären ließ, ging mir nicht auf. Mich freute es dennoch, denn ich hatte kurz zuvor meine letzte Investition dieses Tages vorgenommen.

In Mitten der wuseligen Abteilungen, in denen Kleidung, Bettwäsche oder andere Accessoires des täglichen Bedarfs verkauft wurden, stand ein Händler für Teekeramiken. „Jackpot!“ dachte ich und näherte mich wissbegierig den dort feilgebotenen Teekannen und Schalen. Ich war auf der Suche nach einem Shiboridashi. Diese aus Japan stammende Version eines Gaiwans, also einer Schale mit Deckel, mit dem man den aufgebrühten Tee vor dem in die Schale stürzen hinderte, hatte eine Sieb im Deckel. Somit wurde das Ausschenken des fertig gebrühten Tees immens erleichtert. Leider hatten sie keine dieser Gefässe vorrätig. Der Geschäftsführer, ein junger, in feiner Anzughose und sicherlich teurem Hemd gekleidete Mann, zeigte mir seine Lieblingsstücke. Wir unterhielten uns auf Englisch und er merkte schnell, dass ich nicht irgendein Tourist auf der Jagd nach einem „Japan“ schreienden Gegenstand war, sondern etwas mehr Expertise im Bereich Tee besaß. Also holte er eine Kyusu-Kanne hervor, die eine wundervolle Verarbeitung und Optik vereinte. Der Preis war ebenso wundervoll, für ihn als Verkäufer. Ich haderte eine lange Zeit, schaute mir die Alternativen sehr genau an, bis der Verkäufer eine Schale Wasser holte, um das Gießverhalten der Kannen zu demonstrieren. Schon die Verkostung des Tees in Takayama bevor man eine Kaufentscheidung traf, empfand ich als absolut großartig. Nun wurde mir dort in diesem Kaufhaus im Flur stehend, am Durchgang zur Bettwäsche, auch noch ermöglicht selber die Kanne zu benutzen und das Gefühl in der Hand und ihre Funktion zu testen. Ich fragte mich, ob ich so etwas jemals außerhalb von Instrumenten-Geschäften, in denen man dazu angehalten wurde die Instrumente vor dem Kauf anzuspielen, in Europa erleben konnte. Meine Wahl war gefallen und natürlich war es die teuerste und auch schönste Kyusu, die er mir hätte verkaufen können. Das Gespräch mit dem Verkäufer, die freundliche und umsichtige Art die Produkte anzupreisen und schließlich eine gewisse Kauflust machten mir die Entscheidung leichter.

Mit diesen vielen Belegen holte ich mir also die Steuern wieder, freute mich über eine weitere Yen in der Tasche und begab mich endlich zum Ausgang des Kaufhauses. Mit meiner gut verpackten, zerbrechlich, teuren Teekanne und dem großen Angebot aus japanischen Tees verließ ich gut gelaunt und mit einem seltsam befriedigten Gefühl die Gegend. Ich wusste, dass das ausgeschüttete Dopamin beim Shopping nur von kurzer Dauer war. Trotzdem badete ich für diesen Moment in den Glücksgefühlen auch ein mehr als schönes Souvenir für mich gekauft zu haben. Es fühlte sich ein wenig wie eine Belohnung für diese drei Tage des Harrens und Heilens an.

Beim Schlendern durch die immer noch drückend heiße Stadt liefen mir im Laufe der frühen Abendstunden nun auch Pokémon-Fans entgegen. Egal ob alt oder jung, alle trugen sie eine Mütze oder ein T-Shirt, das auf die derzeit stattfindende Weltmeisterschaft in Yokohama hinwies. Ein solches Fantum fand ich in Europa höchstens für Fußballvereine oder Bands in Form von T-Shirts oder Aufnähern.
Der Weg zurück, in aller Ruhe und Gelassenheit rundete diesen nicht sehr langen, dennoch mit Eindrücken reichen Tag perfekt ab. Die müde Stimmung der Mitfahrenden in den U-Bahnen, nach ihrem mehr als langen Arbeitstag teilte ich. Ich war froh kurz darauf das Hotel erreicht zu haben, mich dort mit einigen Snacks aus dem Konbini zu füllen und in größter Gelassenheit einige Gespräche in der Lobby zu führen. Ich fühlte mich unterhalten, ließ mich nicht aus der Fasson bringen und entschied mich alsbald ins Bett zu gehen. Dort war es kühl, eng gedrängt und kuschelig. Gern hätte ich die Kanne sofort ausprobiert, aber ich wollte keinen der Teesorten vor dem Abflug öffnen, um nicht zu riskieren etwaige Durchsuchungen des Rucksacks zu provozieren oder gar etwas davon entfernt sehen zu müssen.

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Über den Autor

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

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