His Dark Materials – müssen Buchadaptionen 100% akkurat sein?

28. Januar 2023
4 Minuten Lesezeit

Vor einigen Wochen endete die Ausstrahlung einer neuen Serie. Der Titel „His Dark Materials“ bezieht sich auf die von mir sehr geschätzte gleichnamige Trilogie vom Autor Philip Pullmann. Ich entdeckte dieses Werk in den späteren Teens. Man mag meinen, dass ich nicht ganz das Zielpublikum gewesen wäre. Allerdings macht diese aus „Der Goldene Kompass“, „Das Magische Messer“ und „Das Bernstein-Teleskop“ bestehende Trilogie mehr Themen auf, als man es als Kind vielleicht entdecken mag. Auf dieser über überaus erfolgreichen Grundlage (ca. 15 Millionen verkaufte Exemplare) beauftragte die BBC eine Serienadaption,

die im weiteren Verlauf auch von HBO mitproduziert wurde. Die Show ist in 23 Episoden abgeschlossen. Im Durchschnitt dauert eine Episode 45-50 Minuten, so kann man sich also auf knapp 19 Stunden Material freuen.

Als ein kleines Vorfazit: Es ist bewegend, fantasievoll und reich an kritischen Gedanken zu den Themen unserer Zeit. Außerdem weckt es meinen inneren Jugendlichen, der damals schon mit dieser mehrfach wiederholt gelesenen Geschichte viele spannende Momente durchlebte.

Worum geht es überhaupt?

Ohne irgendwas spoilern zu wollen, kann man nur sehr wenig über die Handlung sagen. Was mindestens bekannt sein sollte, aus den Trailern der Serie oder dem sagenhaft schlechten Film „Der goldene Kompass“ mit Daniel Craig und Nicole Kidman, ist, dass es eine Abenteuergeschichte ist. Gemischt wird dies mit Science-Fantasy und einer guten Portion Coming-of-Age.

Es beginnt in einer Welt in der Lyra Belacqua, als Waise im Jordan-College in Oxford aufgewachsen, von der Existenz einer mysteriösen Substanz erfährt. Diese Substanz ist für die alles kontrollierende Kirche eins der größten Probleme, das es mit allen Mitteln zu verhindern gehört. In dieser Welt hat jeder Mensch ein Seelentier bei sich. Die „Daemon“ können vor der Pubertät noch fröhlich ihre Gestalt ändern, ab einer gewissen Zeit bleiben sie jedoch in einer Tiergestalt. In Lyras kleiner Welt, in der sie über Dächer springt und durch Keller mit ihrem besten Freund Roger spukt, schwärmt sie schon immer vom Nordpol.

Lyra und Pantalaimon

Ihr Onkel Lord Asriel kehrt eines Tages mit Informationen von seiner Nordpol-Expedition zurück, die die Welt aus den Fugen schmeißen wird. Die Geschicke überschlagen sich plötzlich und Lyras Reise ins Unbekannte beginnt. Sie wird lange unterwegs sein, viele Wesen, Menschen und Erkenntnisse über sich und die Welt erleben. Lyra wird sich emanzipieren, wird für ihre Überzeugungen kämpfen und etwas lernen, das jeden von uns betreffen kann.

Wieso muss eine Serie ganz exakt wie die Vorlage sein?

Erinnert man sich an die Erzählstruktur des Buchs, so wird schnell klar, dass die Serie sich große Freiheiten nimmt ihre eigene Dramaturgie aufzubauen. Doch warum eigentlich nicht? Was ist es, dass sich Fans verschiedener Couleur über irgendwelche andersartigen Interpretationen eines Buchs hermachen? Eine Vermutung: es ist eine konservatives Phänomen einer Interpretationshoheit. Das Gefühl oder die Vorstellung einer subjektiv-imaginativen Ausgestaltung der Figuren und Orte verletzt zu sehen und daher wenige Alternativen zulassen zu können. „Meine Meinung ist einfach gleicher, als deine Meinung, daher kann ich deine nicht akzeptieren.“ und schon ergeben sich zwei Fronten, die mit- und gegeneinander argumentieren, warum etwas besser oder schlechter ist. Dabei verfehlen beide Extreme den Punkt.

Dass eine Serie, also ein audio-visuelles Medium, anders erzählen kann und sogar muss, um den Zuschauer abzuholen oder zumindest nicht zu verlieren, liegt wohl in der Tatsache der Dinge. Niemand kann von einem Buch eine ähnliche Funktionalität verlangen, die nur Serien oder Filme bieten können, und andersrum. So ist die Aussage: „das ist aber nicht, wie im Buch.“ eine die nur bezeugt, dass diese Person scheinbar unflexibel in ihrer Vorstellungskraft ist. Denn natürlich müssen Filme oder Serien kürzen, reduzieren, rauslassen, umgestalten und teilweise auch hinzufügen.

Worum geht es denn im Kern?

Es soll eine Geschichte erzählt werden, die spannend und anregend ist. Im Falle von „His Dark Materials“ ist es den Zuschauerzahlen zu Folge gelungen. Und natürlich hätte ich gern das eine oder andere Detail gern in bewegten Bildern sehen können. Andererseits ist es vielleicht nicht tragisch, genau dies nicht zu bekommen, schließlich fehlt uns allen nach knapp 15 Jahre Netflix schon sehr viel Fantasie.

Lyra und der Panserbjorn Iorek Byrnison

Die Veränderungen der Designs einzelner Wesen oder Orte, ja sogar die etwas andere Dramaturgie kann dabei nur stören, wenn man sie als Fremdkörper betrachten möchte. Dazu braucht man aber auch das religiös geheiligte Vorwissen des Romans, um einer der „Original-Ultras“ zu sein. Selbst für jemanden ohne jegliches Vorwissen funktioniert diese Serie eben einfach rundum gut. Ihre Figuren entwickeln sich stringent, die aufgebaute Spannung wird einfach großartig vom Cast etabliert und selbst die Animation ist in vielerlei Hinsicht solider als so manches Marvel-Spektakel.

Wie eine Familie

Nicht nur die eh schon großartige, von Jack Thorne für die Serie adaptierte Geschichte bietet viel Platz für kreative Ausschmückungen. Auch die Figuren bieten viel Platz und reichlich Material für das wundervolle Ensemble. Die Protagonistin Lyra wird von Dafne Keen gespielt, die so Manchem vielleicht aus dem X-Men Film „Logan“ bekannt sein sollte, als Wolverines Tochter Laura. Ihr Spiel wird von Staffel zu Staffel umfangreicher. Es mag mit der einhergehenden Emotionalität der Geschichte verbunden sein, aber ihre Expressionen reißen einen mit.

Ebenso vertreten sind Ruth Wilson, bekannt aus Luther, James McAvoy, im Blockbuster-Kino mit seiner Rolle als Professor Charles Xavier in den neueren X-Men Filmen berühmt geworden, und der noch unbekannte Amir Wilson, der einige sehr schöne Momente spielt.

Das Ensemble ist um ein Vielfaches größer, jede Figur scheint wichtig und im Grunde nennenswert, doch ist hier nicht der Platz dafür. Wichtig zu sagen wäre, dass das Casting überaus gut ist. Alle Figuren, seien sie noch so klein, sind mehr als gut besetzt und können mit ihrem Spiel manchmal mehr, manchmal nur ein wenig überzeugen.

Fazit

Wahrscheinlich ist es meine persönlich liebste Buchadaption seit langer, langer Zeit. Sie hat mich einfach umgehauen. Das Spiel einiger Darsteller ist so intensiv und überzeugend, dass die Figuren ganz neue Dimensionen erfahren haben. Ganz unbedingt zu nennen ist dabei Ruth Wilson. Die visuelle Umsetzung, die Dramaturgie, die Konflikte und die vielen wirklich schönen Szenen und mindestens ebenso Herz zerbrechenden Momente haben diese Serie für mich zum Serienliebling des Jahres 2022 gemacht. Es ist ganz klar eine Welt der Science-Fantasy, die im Herzen eine große Liebesgeschichte trägt und die religiöse Welt in Schutt und Asche legt.

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

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