Moon Knight Collection (von Charlie Huston und David Finch)

12. Februar 2022
3 Minuten Lesezeit

Der Marvel-Charakter Moon Knight erlebt gerade ein großes Comeback. Nicht zuletzt wegen der auf Disney+ ausgestrahlten Serie, sondern auch aufgrund der vielen Re-Prints und der aktuellen Reihe „Moon Knight – Wächter der Nacht“, die alle bei Panini Comics erscheinen. Es ist eine Figur ambivalenter Emotionen. Rache, Hass, Liebe und Mitgefühl stehen immer in krassem Gegensatz und zeichnen die fragmentierte Psyche des Marc Spector, Steven Grant oder Jake Lockley alias Moon Knight aus.

Die 13 Hefte umfassende „Moon Knight Collection“, geschrieben von Charlie Huston und von David Finch, Mico Sayan und Tomm Coker gezeichnet, zeigt den Avatar Konshus von seiner brutalsten Seite. Das 356 Seiten starke Hardcover umfasst alle Ausgaben des Huston-Run aus dem Jahr 2006. Insgesamt verfasste Huston 19 Hefte mit Moon Knight. Zu dieser Zeit tobte der „Civil War“ in den Comics aus dem Hause Marvel. Etwas, das im Laufe dieses Bandes mehr an Relevanz erfährt.

Im Anhang findet sich eine umfangreiche Cover-Galerie und ein Nachwort des Autors, das seine Verbindung zur Figur aufzeigt.

Der Mond am Horizont

Wer sich nach düsterer Atmosphäre sowie brachialer und schonungsloser Gewalt im Comic umsieht, sollte diese Reihe nicht verpassen. Der von David Finch gezeichnete Start in die Handlung findet in den Straßen New Yorks, zwischen Gangkriminalität und sich selbst statt. Ausschließlich durch Off-Sprecherboxen, die den momentanen Kodex und die Weltansicht Moon Knights sehr klar ausdrücken, erlebt man einen gebrochenen Marc Spector. Er verlor seine Kräfte, seinen Glauben an seinen Retter und Gott Konshu und alles andere, das ihm wichtig war. Im Gegenschnitt sehen wir also abwechselnd einen Tablettenabhängigen im Rollstuhl und einen Rächer, der mit Dornen besetzten Schlagringen Kriminelle in den Straßen richtet.

Diese scheinbar ausweglose Situation, der Verlust seiner Selbstwirksamkeit und der dahinschwindende Glaube an seine Mission weckt einige Erinnerungen an Frank Millers Daredevil. Doch es ist kein Vergleich, denn Moon Knight ist einfach gnadenlos in seinem Urteil. Es wird getötet, wer es dem Gesetz Konshus nach nicht anders „verdient“.

Im Hintergrund agiert eine Organisation, die sich „das Komitee“ nennt. Ihr Ziel ist Rache an Moon Knight, der dafür verantwortlich ist, das vorige Komitee und somit die Väter der jetzigen Amtsträger umgebracht zu haben. Sie benutzen einen Mann mit besonderen analytischen Fähigkeiten. Er nennt sich „The Profile“ und kann mit einem Blick Geheimnisse, Vergangenheit und Wünsche eines jeden sehen. Diese Daten dienen einer Prognose des Verhaltens von Moon Knight, um ihn durch den Taskmaster aus dem Weg räumen zu lassen. The Profile wird im Verlauf dieser Reihe noch ein interessanter Charakter, dessen Fähigkeiten maßgeblich für einen Wendepunkt in Marc Spectors Selbstwahrnehmung verantwortlich sind.

Von den Toten auferstanden

Die zweite Hälfte geht noch einen Schritt weiter. Die in Teilen zurückgewonnene psychische Stabilität und die fragile Verbindung zu Konshu werden auf die Probe gestellt. Eine Mordreihe beschäftigt die Polizei und schon sehr bald auch Moon Knight. Alles deutet darauf hin, dass ein längst totgeglaubter Psychopath wieder sein Unwesen treibt. Der Serienmörder Midnight sucht mittels seiner perversen Mordmethoden die Aufmerksamkeit des beim Mondschein richtenden Söldners Marc Spector. Sein Motiv ist ebenfalls die Rache für den Mord seines Vaters durch Moon Knight. Dieser ist immer noch nicht bei vollen Kräften, braucht Unterstützung und findet neue Unterstützung. Auch seine bisherigen Freunde Duchamp, liebevoll Frenchie genannt, und sein Physiotherapeut Rob helfen ihm wieder auf die Beine.

Es wird ein Kampf auf Leben und Tod, den der Rächer austragen muss. Der parallel dazu erzählte Versuch, seine große Liebe Marlene wieder zurückzuerobern, fügt dieser Handlung nur stellenweise eine Ebene hinzu, die über die Gewaltauslebung hinausgeht.

Das abschließende Kapitel, ein stilistisch und inhaltlich losgelöstes Heft, zeigt den Versuch, sich in das „Superhuman Registration Act“ eintragen zu lassen. Eine psychologische Prüfung zeigt, wie fragmentiert seine Psyche ist. Dieses Heft hat vieles, worauf sich der fast zehn Jahre später veröffentliche Lemire-Run zu stützen scheint.

Dunkel ist die Nacht

Wie auch andere Comic-Helden erreichte Moon-Knight mit dem Wechsel des Jahrtausends eine neue Härte. Schon in Grant Morrisons X-Men und dem bis heute gefeierten „Wolverine: Staatsfeind“ erkennt man, was Anfang der 2000er den Ton angab. Schonungslose Gewalt, knallrotes Blut in Mengen und Helden, die von großen psychischen und emotionalen Problemen zerfressen waren.

Die Nähe des Autors Charlie Huston zu Noir, Crime und übernatürlichen Figuren zeigt sich bereits in seiner früheren Bibliografie. Dies war allerdings Hustons erster verfasster Comic und dann so eine düstere Figur. Es zeugt von Mut und Können, die Figur Moon Knight so überzeugend gebrochen und brachial zu schreiben.

Der tongebende Zeichenstil des bereits damals für seine an Gothic erinnernden Zeichnungen bekannten David Finch bestimmt dieses Werk von Anfang an. Seine Bilder sind reich an Details, mischen Schraffuren und große Tuscheflächen für die dunkle und bedrohliche Atmosphäre und zeigen einen Moon Knight ungesehener Härte. Das Charakterdesign und die Kostüme verkörpern absolute und zügellose Kraft und Gewalt. Die massiven Muskeln, die bluttropfenden Waffen und die immer latent bedrohlichen Blicke seiner Figuren prägen sich schnell ein. Die Umsetzung der Perspektive von „The Profile“ und das Spiel mit einer reduzierten Farbauswahl gelingen sehr gut.

Die zweite von Mico Sayan gezeichnete Hälfte ahmt diesen Stil nach und entwickelt sich eigenständig zu etwas, das in seinen Formen etwas weicher ist. Nichtsdestotrotz zeigt Sayan auch martialische Gewaltexzesse und morbide Folter, die nichts für schwache Nerven sind. Teilweise verlieren sich leider die Aktionen wegen der parallel erzählten Handlungsstränge und eingeschobenen Panels. Auch die Bilder Sayans passen sich nahtlos in die neue visuelle Härte der 2000er ein, die auch von Frank Quitely zu dieser Zeit sehr prominent gezeigt wurde.

Fazit
„Moon Knight Collection von Charlie Huston und David Finch“ verschlingt einen und reist hinab ins düstere Treiben eines von Rache durchtriebenen Antihelden. Die von Huston neu gedachte Figur Moon Knight machte damals wie heute eine Bandbreite von Fragen auf und begeistert die Leser:innen. Einige dieser Themen wie Freundschaft, Loyalität, Aufopferung für den vermeintlichen Gott und das sich durchziehende Rachemotiv werden in Teilen reflektiert und kritisch hinterfragt. In der Summe dominieren aber die Gewalt und das Ausleben der Rachegelüste dieses Werk, das sich eklatant anders liest als der aktuelle ironisch-gebrochene, dennoch lustige Moon Knight. Die „Mitternachtssonne“ zeigt Marc Spector mit aufregenden Bildern an seinem persönlichen Tiefpunkt und nimmt die Leser:innen mit auf den steinigen Weg zurück ins Mondlicht.
Pro
Düstere und fesselnde Erzählung, brutale und lebendige Grafik, tiefgreifende Erkundung der Psyche von Moon Knight, Verbindungen zu Marvel-Ereignissen, einzigartige Handlungsstränge, vielfältige Kunststile.
Kontra
Anschauliche Gewalt, mögliche Verwirrung in parallelen Handlungssträngen, Dominanz der Gewalt gegenüber anderen Themen, fragmentierte Actionsequenzen in der zweiten Hälfte.
9.2

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

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